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U-Comix – Wo kommen sie her? Wo geht die Reise hin?

U-Comix – Wo kommen sie her? Wo geht die Reise hin?

Spiegel Nr. 33, 1971, Raymond Martin und seine Kommune.

Spiegel Nr. 33, 1971,
Raymond Martin und seine Kommune.

Die 70er:
Seit den 1970er Jahren hat der junge Verleger Raymond Martin mit seinen Comics und Büchern zu Drogen, Ökologie und Bewusstseinserweiterung die alternative Presselandschaft nachhaltig geprägt. Mit seinen erfolgreichen Comic-Magazinen “U-Comix”, bei dessen Gründung 1969 er gerade einmal 18 Jahre alt war und später “Schwermetall”, brachte er erstmals junge Deutsche in Kontakt mit Comiczeichnern wie Robert Crumb, Richard Corben, Moebius oder Gilbert Shelton.
Was Comics betrifft, hat sein Volksverlag den Rock ‘n’ Roll nach Deutschland gebracht.

 

 

 

PängReihe

Raymond Martins alternatives Lifesstyle-Magazin “Päng!” war nach dem Geräusch durch die Polizei eingetretener Türen benannt.Doch der Volksverlag war auch berüchtigt und dem Staatsanwalt ein ständiger Dorn im Auge.

Die Fabulous Furry Freak Brothers beispielsweise lebten ein arbeitsscheues, Drogen verherrlichendes freies Leben vor, das so gar nicht zu den Vorstellungen der braven Deutschen passte.
Haussuchungen waren in Raymond Martins Hippiekommune in Kucha an der Tagesordnung.

 

 

 

 

 

 

“Drogen bringen Dich besser durch die Zeiten ohne Geld, als Geld Dich durch die Zeiten ohne Drogen!” eine Botschaft die dem Staatsanwalt gar nicht gefiel.

“Drogen bringen Dich
besser durch die Zeiten
ohne Geld, als Geld
Dich durch die Zeiten
ohne Drogen!”
eine Botschaft die dem
Staatsanwalt gar nicht
gefiel.

Es wurde gemunkelt, die Druckkosten der Comix wären durch geheime Marihuanaplantagen im Nürnberger Hinterland finanziert worden. Bis zu 20 Mädchen sollen mit ihm auf Kucha gewohnt und der freien Liebe, dem Kiffen und subversivem Denken gefröhnt haben.
1973 bezeichnete die Stuttgarter Zeitung ihn als Deutschlands schönsten und eitelsten Revolutionär.
Begonnen hat er mit Raubkopien der Comix der Rip Off Press.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Crew der Rip Off Press

Die Crew der Rip Off Press

Die Rip Off Press
Das war eine Gruppe von bis zu 40 junger Hippies, die sich im San Francisco der Flower Power Ära um die Zeichner Jack Jaxon, Dave Sheridan, Paul Mavrides und Gilbert Shelton gesammelt hatten und die gemeinsam eine alte 1927er Edsonlith Druckerpresse kauften.

Mit dieser Druckmaschine wollten sie psychedelische Poster drucken, dann wurden es aber Comix.

Richard Corben, Robert Crumb und Spain Rodriquez

Ihre Comix veränderten die Welt der Comics für immer.
Das X in Comix steht für X-rated. Diese Comix waren unzensiertes Erwachsenenmaterial und die Gehirne der Comicautoren und Zeichner waren durch Marihuana, LSD und alternative Philosophie auf ein völlig neues Level gepusht.
Die intensive Beschäftigung mit Alternativen zu den bisherigen Wertvorstellungen, die das rassengetrennte Cowboy-Amerika in zwei bittere Kriege geführt hatten, spiegelte sich auf allen Ebenen der Kultur wieder.

Bei Kitchensink Press erschien Dope Comix aber auch der Spirit!

Diese Bewegung schlug so stark ein, dass auch Stan Lee ein Undergroundheft verlegte und Will Eisner begeistert sprach:
“Die Zukunft der Comics liegt bei den Independence-Zeichnern im Untergrund!”
Sein Kumpel Dennis Kitchen stieg dann auch mit dem Verlag Kitchensink voll auf diese Spur ein und veröffentlichte bis 1999 Undergroundcomix.
Den Rip Off Verlag gibt es noch immer. Er ist den Undergroundtrends wie Tattoo und Low Brow Art immer einen Schritt voraus gewesen.

Fluide Glacial ist ein französisches Comicmagazin, das 1975 von dem Comiczeichner Gotlib und dem Autor Alexis gegründet wurde.

Fluide Glacial ist ein französisches
Comicmagazin, das 1975 von dem
Comiczeichner Gotlib und dem
Autor Alexis gegründet wurde.

Die 80er und 90er:
In den 80er Jahren bediente Martin sich dann vorwiegend auf den französischen Comicmarkt. Das Magazin Fluide Glacial stellte nun den größten Teil des Inhalts von U-Comix.

Gotlib, Franquin, Maëster, Binet, Solé und vor allem Édika machten mit ihrem überdrehten Humor Gras und Haschisch überflüssig. Verkaufte Auflagen von 30.000 Exemplaren waren nun für U-Comix keine Seltenheit.

Verkaufte sich wie geschnitten‘ Brot: U-Comix in den 80er Jahren.

Dennoch musste Raymond Martin das Magazin nach ständigem Rechtsstreit und Geldstrafen wegen Lizenzverletzungen 1984 aufgeben.
Er betreibt heute Heartland, einen Versand für Poster und T-Shirts.
Zudem pflegt er den Nachlass des Malers Mati Klarwein, der u.a. als Lieblingsmaler von Andy Warhol gilt und mit Salvador Dali, Brigitte Bardot, Timothy Leary verkehrte und Raymond Martins bester Freund war.

Raymond Martin heute – Er lebt in einem kleinen Bergdorf nahe der Kurstadt Bad Windsheim. Dort trifft man den Hobbybauern und Esoteriker zumeist im Freibad.
„Nach einigen Bahnen kommt man in eine Art meditativem Zustand, sozusagen die Einheit von Körper und Geist.“
Foto: Jutta Hofmann

Das Verlagshaus Sonnenberg und die Albert Hofmann Druckerei behielten, an Stelle der Abzahlung der Schulden, die Rechte an den Titeln “U-Comix” und “Schwermetall”. (Anm.: Nicht der Albert Hofmann, der das LSD erfand)
Sie gründeten den Alpha Comic Verlag und die Edition Kunst der Comics.
Achim Schnurrer wurde als Verlagsleiter und Chefredakteur für U-Comix und Schwermetall beauftragt.
Unter dem Sozialpädagogen Schnurrer stellte U-Comix auf schwarzen Humor um und verzichtete auf den systemkritischen und subversiven Anspruch.

Achim Schnurrer alias Lucas Bahl. Mit Riccardo Rinaldi, Ingo Stein, Burkhard Ihme, Hansi Kiefersauer, Horst Berner, Eckart Sackmann, Hartmut Becker, André Roche und Gerd Zimmer gründete er 1984 den Comic Salon Erlangen.

Achim Schnurrer alias Lucas Bahl. Mit Riccardo Rinaldi, Ingo Stein,
Burkhard Ihme, Hansi Kiefersauer, Horst Berner, Eckart Sackmann, Hartmut Becker, André Roche und Gerd Zimmer gründete er 1984 den Comic Salon Erlangen.

Lobenswert war der nun verstärkte Einsatz deutscher Zeichner.
Frans Stummer, Anton Atzenhofer, Klaus Cornfield, Kim Schmitz, Walter Moers und Ralf König sind nur einige davon.

Schnurrer machte sich nicht nur als Verleger, sondern vor allem 1984 als Initiator des Internationalen Comic-Salons Erlangen verdient.
Er ist Schriftsteller und verfasste zahllose Perry Rhodan Hörspiele.
Unter dem Pseudonym Lucas Bahl schreibt er Science-Fiction, Fantasy, historische Romane, Krimis und Thriller.

Ende der 90er:
Religiöse Fanatiker ruinieren mit Hilfe der Rechtsprechung den engagierten Verlag.Nach jahrelangem Rechtsstreit wegen angeblicher Jugendgefährdung wurde U-Comix 1997 mit Erscheinen des Doppelheftes 180/181 eingestellt.

Das „Meininger Zensur-Verfahren”

Michael Brenner, rechtsorientierter Chef des aktivistischen Vereins ‚M.U.T.‘ (Menschen Umwelt Tiere) und der Meininger Oberstaatsanwalt Hönninger brachten im großen Stil Comics auf den Index der jugendgefährdenden Schriften und erwirkten eine bundesweite Razzia in Hunderten von Buchhandlungen.
Beschlagnahmt wurden bei der Aktion etwa 150 verschiedene Comicbücher, der Vorwurf lautete auf Verbreitung von pornographischen und Gewalt verherrlichenden Schriften sowie Jugendgefährdung.
Dadurch hatte der Verlag 1996/97 einen Umsatzeinbruch von rund 1,5 Millionen DM.
Unglaublich plump und dumm unterstellten sie sogar Pulitzerpreisträger Art Spiegelmann Nazipropaganda zu betreiben. Spiegelmann schildert in seinem Comicbuch “Maus” das schreckliche Schicksal seines jüdischen Vaters in Auschwitz.

Das Verfahren dauerte 6 Jahre. Der Alpha Comic Verlag musste im Jahr 2001 einem Vergleich und der Geldbuße von 15.000,- DM. zustimmen.

Frank Miller wirbt für den Comic Book Legal Defense Fund gegen Zensur im Jahr 1997. Der CBLDF ist eine US-Amerikanische Non-Profit-Organisation, gegründet im Jahr 1986, um die Rechte von Comicschöpfern, Verlegern und Händlern zu schützen.
Auch in Deutschland organisierten sich Comicschaffende in den 90er Jahren.
Burkhard Ihme und der ICOM sammelten über 7000,- DM zur Unterstützung Schnurrers.

Frank Miller wirbt für den Comic Book Legal Defense Fund gegen Zensur im Jahr 1997. Der CBLDF ist eine US-Amerikanische Non-Profit-Organisation, gegründet im Jahr 1986, um die Rechte von Comicschöpfern, Verlegern und Händlern zu schützen.
Auch in Deutschland organisierten sich Comicschaffende in den 90er Jahren.
Burkhard Ihme und der ICOM sammelten über 7000,- DM zur Unterstützung Schnurrers.

In den 2000er Jahren geriet U-Comix in Vergessenheit…

 Robert Makowski alias Cinemakowski hat sich die Rechte am Titel U-Comix gesichert.

Robert Makowski alias
Cinemakowski hat
sich die Rechte am
Titel U-Comix gesichert.

Die 2010er Jahre:
Von der Welt unbemerkt, sicherte sich der Filmemacher Robert Makowski die Rechte am Titel U-Comix.

2013:
Ab dem Gratis Comic Tag 2013 am 11.5.2013 wird U-Comix wieder erscheinen.

Kein etablierter Verlag hat sich an das Projekt gewagt, sondern der Undergroundzeichner Steff Murschetz, der mit undergroundcomix.de einen kleinen Verlag für aufstrebende Talente betreibt.
Murschetz – drogenerfahrener Poster- und Shirtdesigner, Rockerchopper-Speziallackierer, globaler Tätowiervorlagen-Vertreiber, Erotik-Comic-Zeichner und seit seiner Jugend Mitarbeiter des legendären 1984 indizierten Undergroundheftes “Menschenblut”, sieht sich ganz in der Tradition der Rip Off Press und als rechtmässiger Erbe des Chefredakteur-Postens.

Auf die Frage, ob die Fußstapfen von Raymond Martin und Achim Schnurrer nicht ein wenig groß für ihn seien und die Zeit der Comicmagazine längst vorbei, antwortet Steff Murschetz mit einem Zitat des Stuntman Evel Knievel:
‚Was soll ich tun? Den Leuten ihr Geld zurückgeben und sagen: Ich traue mich nicht?‘

Steff Murschetz Selbstportrait “LSteffD – Begegnung am Bahndamm.”

Im Pakt mit Robert Makowski, Stephan Probst und seiner Agentur DRIVE und dem Comicvertrieb “Comics und Spiele Berlin” von Norbert Frase-Gerhold wagt undergroundcomix.de das Abenteuer, U-Comix wieder aufleben zu lassen.

Der harte Kern der Zeichner hat sich auf der Panini-Plattform myComics.de zusammengefunden. So wird auch die hochmotivierte, topaktuelle und sehr experimentierfreudige Web-Szene ihren Weg aufs Papier und in die Comicläden finden.

Das U-Comix Erfolgsheft der 80er Jahre nachzubasteln ist nicht ihr Bestreben!
Die Zeiten haben sich geändert – Das ist wohl jedem klar.

Ro-Butler 384 von Sebastian Kempke
und Dirk M. Jürgens.
Das neue U-Comix wird mehr
Schwermetall enthalten.

Was wird sich an U-Comix ändern?
Die neuen U-Comix Hefte werden im Format 17 x 24 cm gedruckt, angelehnt an die Formate der Rip Off Press und deutscher Independence Hefte des Weissblech-Verlags, Gringo-Comics, The Next Art und natürlich “Menschenblut”.
Es wird alle 2 Monate erscheinen.
Liebevolles Design und abgefahrene Stories sind Pflicht.
Die eingeheftete U-Comix Gazette wird Interviews und News aus der Comicszene bringen.
Die Gazette startet im GCT-Heft mit einem Interview mit der Undergroundcomix-Legende Gilbert Shelton, der auch seine in Deutschland unveröffentlichten farbigen Freak Brothers Comix beisteuert.
Die Doppelseite in der Mitte des Heftes wird ein Haight-Ashbury Poster vom französische Zeichner Antoane zieren.
So will die Crew von U-Comix es beibehalten:
Die Chance und das Erbe ehren und liebe- und kraftvoll ein U-Comix Heft machen, das authentisch ist und sich nicht verstecken muss.

Schon im Vorfeld gibt es Beschwerden wegen angeblichem Sexismus!

Wie die nächste Stufe der U-Comix Evolution sich entwickeln wird, ist auch für die Macher vor allem ein spannendes Abenteuer.
Der Zeichnerstamm im Hintergrund zählt an die 60 Zeichner aus aller Welt.
Deutschland, Österreich, Schweiz, Brasilien, Frankreich, Irland u.s.w.
Facebook sei Dank!

Bert Henning, der mit seinem 50-Jährigen Punk im neuen U-Comix regelmässig vertreten ist, prägte das Wort:
“Die Leser von damals sind die Zeichner von heute!”

Ob sich am 11.5. wohl auch Michael Brenner und Oberstaatsanwalt Hönninger ihr U-Comix Nr. 182 auf dem Gratis Comic Tag 2013 abholen werden?